Leben in Andalusien

BLOG-NACHT
August - 2023

Seit ich lesen kann, lese ich ständig

Blog-Nacht

Vorneweg-Worte

Ich hänge fest. Der Impuls von heute ist eine Herausforderung für mich, weil ich das Wort ständig assoziiere mit ununterbrochen, pausenlos, mit lebenslang. Zu allem Überfluss kommt mir dazu auch noch lebenslänglich in den Sinn. 

Aus Erfahrung weiß ich: Kreativität entsteht nur selten beim Grübeln, sondern beim Machen. 

Mal sehen, was passiert, wenn ich ungefiltert drauflos schreibe in meiner fünften Blognacht mit Anna Koschinski.

Einfach schreiben

  • Seit ich atmen kann, atme ich, ständig.
  • Seit ich laufen kann, laufe ich, zwar nicht ständig aber doch jeden Tag.
  • Seit ich sprechen kann, rede ich. Zum Glück für die anderen nicht ständig.
  • Seit ich lesen kann, lese ich, jeden Tag, gern mehrere Stunden. Mir fällt auf: Lesen kommt fast gleich nach Atmen. Und da ist es! Einfach so! Beim unzensierten Schreiben ist mein “ständig” aufgetaucht. 

Lesen als Flucht? Es gibt Stimmen, die sagen, durch Lesen würden wir fliehen in eine Scheinwelt oder ein Leben aus zweiter Hand führen. Vielleicht ist das so, vielleicht tauchte ich ab in andere Welten, vielleicht heute noch.

Gleichwohl übte ich mich in Empathie, erweiterte meinen Wortschatz, meine Fachkompetenz, entwickelte innere Bilder und damit Kreativität. Ich schaute über den Tellerrand und lernte die unendlich vielen Abstufungen zwischen schwarz und weiß kennen und würdigen. 

Die Forschung sagt: Lesen entspannt, reduziert somit Stress, scheint Demenzerkrankungen vorzubeugen und eine Studie belegt, zu lesen erhöht die Lebenserwartung. Quelle

Ich finde, Sprache überhaupt ist ein Wunder. Lautsprache in Schriftsprache umwandeln zu können, eine kulturelle Hochleistung. Komplexe Fähigkeiten sind nötig, um aus Buchstaben Worte zu bilden, die dann verstehend lesen zu können, ein weiterer großer Schritt. 

Für mich ist ein Leben ohne Bücher unvorstellbar. Seit frühester Jugend begleiten sie mich. Manche sind wie Meilensteine. Von einer klimperkleinen Auswahl erzähle ich in dieser Blognacht.

Erste Erfahrungen

Als Kind war mir Schokolade völlig egal. Essen überhaupt war nicht wichtig, eher anstrengend, weil sich zum fehlenden Appetit die gruselige Geschichte vom Suppenkasper im Struwwelpeter gesellte. 

Mein Lesehunger jedoch war gut ausgebildet. 

Merkwürdigerweise erinnere ich mich nicht daran, dass mir Geschichten erzählt oder vorgelesen wurden. Nur soviel fällt mir ein: Ich konnte rasch lesen und die wunderbare Welt der Buchstaben und aneinander gereihter Wörter selbst entdecken, mit meinen Helden und Heldinnen fiebern, mit ihnen leiden, lachen und erleichtert aufatmen.

Nach den ersten so genannten Mädchenbüchern begegnete mir Karl May. Die Geschichten um den Häuptling der Apatschen Winnetou und seinen Freund Old Shatterhand faszinierten mich. Wieviele Tränen vergoß ich doch, als Winnetou starb. 

Aber: Gestorben oder nicht, ich stellte mir gern vor, wie er irgendwann angeritten kommt auf seinem Rappen Iltschi, um mit mir davon zu galoppieren ins nie und nicht endende Glück.10 Jahre zählte ich damals. 

Die Winnetou-Reihe wurden verfilmt. Ich fieberte den Vorstellungen im “Globus” entgegen, ein Kino ganz in der Nähe. Ja, das gab es damals in Berlin, Kinos immer in der Nähe. 

Mein erster "Roman Für Grosse"

“Gone with the wind – Vom Winde verweht”. Das Buch stand neben wenigen anderen im Wohnzimmerschrank. Der Titel zog mich an. Ziemlich jung begann ich über die Fragen und den Sinn des Lebens nachzudenken. Schließlich würde alles, alles der Wind verwehen, mich auch. Da war ich um die 14 / 15 Jahre alt. 

Ein wenig flau war mir schon, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Die Neugier siegte. Ich trat ein in das Südstaatendrama, in die Welt der Sklaverei, der Ausbeutung, nahm Teil am Niedergang einer Herrschaftsidee, die bis heute noch längst nicht überwunden ist. Unglaublich, wie zäh sich manches hält.

Ich lernte Scarlett kennen, mit all ihren Facetten und Rhett Butler, den Zynischen und etwas Zwielichtigen. Eine Liebesgeschichte ohne klares Happy End. Meine beste Freundin Elke las es auch. Wir dachten in ihrem winzigen Zimmer zusammen nach über das Elend der Sklaverei, überlegten, ob wir uns einen schwarzen Freund vorstellen könnten (wir konnten!) und spannen eifrig an verschiednen Fortsetzungen. 

Bis heute ist mir Scarletts Satz in Erinnerung geblieben und manchmal war er Hilfe: 

 “After all, tomorrow is another day.” 

Ein Fenster geht auf

Der Freund meiner Freundin musste seine Semesterarbeit zum Zauberberg von Thomas Mann abgeben. Sie bat mich, diese zu “tippen”, wie es damals hieß. Ich tippte und kaufte mir direkt das Buch. 

Es war, als würde ein Fenster aufgestoßen. Ein neuer Lebensabschnitt begann und meine Freundin meinte, ich sei wie ein trockener Schwamm. 

Meine Güte, wieviele Jahre sind seither vergangen!

Blog-Nacht im August
Berghotel Sanatorium Schatzalp, das im Roman "Zauberberg" mehrfach erwähnt wird.

Vom vorlesen

Die Stunden sind ungezählt, die ich meinen Kindern vorgelesen hab. Nach vielen Bilderbüchern begleiteten uns Janoschs “Der kleine Bär und der kleine Tiger” ein paar Jahre. “Piggeldy und Frederik” gesellten sich dazu, später dann “Findus und Pettersson”. 

Ich las morgens, mittags oder abends. Auf dem Sofa, auf dem Boden, am oder im Bett, sie an mich gekuschelt. Die Texte kannten sie nach überraschend kurzer Zeit aus dem “ff” und merkten sofort, wenn ich schummeln wollte, weil ich zu müde war. Manchmal schlief ich vor ihnen ein. “Psst Papa, Mama schläft schon!” 

Klar gehörten auch Märchen dazu.

Dreimal, eigentlich nur zweinhalbmal, hab ich “Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer” für sie gelesen. Der Jüngste erinnerte mich vor kurzem (!) daran, nie den zweiten Teil gehört zu haben. Aber einmal fuhr ich nachts mit ihm zum Hauptbahnhof. Ab 24 Uhr konnten wir den neuesten Harry-Potter-Band kaufen. 

Mir wird’s ganz warm und gemütlich innen, wenn ich an diese Zeit denke. 

die bibel

Als Religionslehrerin, später dann Studienleiterin für das Fach Evangelische Religion, gehörte die Auseinandersetzung mit der Bibel dazu. Ich lernte, die Inhalte besser zu verstehen, Schätze in ihnen zu entdecken.

 Allerdings bin ich bis heute mehr Fragende geblieben denn Wissende geworden. Und niemand ist mir unheimlicher als die, die meinen, genau zu wissen, wie es ist, die aus ihrer individuellen Wahrheit, eine für alle verbindliche und einzig gültige machen wollen.  

Im Frühsommer 2020 – Corona hatte uns fest im Griff, wir lebten isoliert auf dem Land – schrieb ich regelmäßig kleine spirituelle Impulse. Einmal ging es um die Liebe und mir war dieses Video begegnet. Ein berühmter Text von guten Schauspielern gesprochen und absolut professionell geschnitten. Das Hohelied der Liebe, 1. Kor 13. Vielleicht mag es die eine oder der andere anschauen. 

Noch ein Fenster

Die Bücher von Deepak Chopra begleiten mich seit vielen Jahren. Er gehört für die New York Times zu den 100 wichtigsten Personen der Gegenwart. Aus Indien stammend, studierte er Medizin. Sein Spezialgebiet ist die Endikrinologie. 

Dabei blieb er allerdings nicht, sondern knüpfte an das uralte Wissen des Ayurveda an, der Lehre des langen Lebens. 

Durch ihn lernte ich das Mantra SO HAM – ICH BIN kennen. Den ersten Teil “SO” denke ich beim Einatmen, “HAM” beim langsamen Ausatmen. ICH BIN – ohne jedes Adjektiv hinten dran, ohne jede Klassifizierung. “Ich bin” ist vollkommen genug, weil ich immer genug bin. 

Nun ja, ich hege da so meine Zweifel.

Und heute?

Manchmal fehlt mir mein Lieblings-Buchladen. Weit und breit gibt es hier keinen, der deutsche Bücher führt und es ist langweilig, im Internet nach einem neuen Buch zu suchen. 

Wie wohltuend dagegen war es doch in aller Ruhe stöbern zu können in einem richtigen Laden mit Büchern zum Anfassen. Manchmal hatte ich welche als Geschenke einpacken lassen, als Geschenke für mich! Sie dann in einer Tüte nach Hause zu tragen oder ins nächste Café, das war Vorfreude in Reinform. 

Hier lese ich bis auf wenige Ausnahmen digital und bin heilfroh, die Möglichkeit zu haben. Im letzten Jahr schenkte mir mein Freund zum Geburtstag ein Kindle. Nichts blendet mehr und das kleine Teil wiegt deutlich weniger als ein iPad. Ja, der Liebe hatte es sich gemerkt.  

  • In den vergangenen Monaten faszinierte und berührte mich besonders “Eine Frage der Chemie” von Bonnie Garmus. 
  • Auch war ich wieder in der Welt der alten Philosophen unterwegs: Gelassenheit, Seelenruhe und Weisheit, welch verheißungsvoller Dreiklang. Manchmal wünschte ich, einen kurzen Zeitsprung in die Vergangenheit machen, zusehen und lauschen zu können. 
  • Neuere Anregungen trudeln über “Das philosophische Radio” des WDR an jedem Montag kurz nach 20 Uhr regelmäßig bei mir ein.

Meine derzeitiges Lieblingsbuch ist ein spanisches, für Kinder geschrieben. “Platero y Yo” (Elegía Andaluz) 1907 – 1916 vom Nobelpreisträger Juan Ramón Jiménez. In 139 kleinen Geschichten erzählt Jiménez vom Esel Platero und seinem Menschen, von Freude und Leid, die Zwillinge sind, wie die Ohren Plateros. Was ein Bild! 

Mich überrascht die Melancholie in seinen Texten für Kinder und ja, sie, wir alle werden auch mit dem Tod Plateros konfrontiert.

Ich kann es nicht schnell hintereinander weg lesen, sondern “poco a poco”, wie man hier sagt, bin ich unterwegs. Manches lässt sich nicht ohne weiteres 1 zu 1 übersetzen und das ist dann doof, weil ich den Sinn nicht erfasse.

Aber da sind ja noch die Bilder. Sie laden zumindest mich ein zum immer wieder Anschauen, zum Verweilen. Gestaltet hat sie David González. Er erlaubte mir, einige davon zu zeigen. Da begann die Qual der Wahl. Ich wollte sein Entgegenkommen auf keinen Fall überstrapazieren. ¡Muchas gracias David! 

Illustration zur Geschichte "Sonntag"
Illustration zu "Sie und wir" - "Sie" steht hier im Singular

Hintendran-Worte

Etwa 40 lange Minuten saß ich in dieser Blog-Nacht vor der Tastatur. 

Es geschah nix – scheinbar. Wie gut für mich, geblieben zu sein. Ich hätte allerhand verpasst.

Haben mich Bücher verändert? Oder hab ich mich verändert und in der Folge sind mir entsprechende Bücher erst aufgefallen? Kann man das eine überhaupt vom anderen trennen?

Nach Charles Pépin verändert uns wahre Begegnung mit Menschen. Er beschreibt in seinem Buch “Kleine Philosophie der Begegnung”, wie Picasso sich durch einen Schriftsteller veränderte. Pépin ist überzeugt, ohne diese Begegnung hätte nie das Monumentalbild Guernica entstehen können. 

Wenn aus einem Treffen Begegnung wird, dann werden wir berührt, dann geschieht etwas in uns, sagt Pépin, und ich wage diese These auf die Begegnung mit einem Buch zu übertragen. Ich bin überzeugt, Bücher – und auch Bilder – stoßen etwas an, setzen etwas in Bewegung, sind weniger passiv, als wir meinen, scheinen uns hin und wieder sogar zu rufen. 

Für mich sind sie Impulsgeber, Lehrer, Tröster und treue Begleiter durch mein Leben. Ich fühle mich mit ihnen verwoben und brauche sie – täglich.  

Nun frage ich mich: Ist das Brauchen gegenseitig? Brauchen sie mich auch? Was wären sie ohne mich, ohne uns, die wir sie lesen? Eine Anhäufung von schlafenden Worten? Erwachen sie erst durch mich, durch uns Lesende zum Leben? 

Vielleicht ist das ein etwas verrückter Gedanke – was meint ihr? 

Und wie geht es euch grundsätzlich mit Büchern? Gibt es da ein paar Meilensteine, die euer Leben veränderten? 

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7 Antworten

  1. Liebe Ramona,
    wow, was für eine Reise. Ja, ich weiß es auch noch, wie ich mich als Kind ins Lesen verliebt habe. Einzutauchen in die Geschichten, war einfach das Größte. Und das Vorlesen… Das hat noch mal etwas ganz Eigenes. Hast du meinen Text dazu gelesen? Da wurde mir erst richtig bewusst, wie wichtig die Stimme beim Lesen sein kann 😉

    Schön, dass du bei der Blognacht dabei warst – bist ja jetzt auch schon Stamm-Gästin! So schön!

    LG Anna

      1. Hi Anna, klar ist das ok. Ich werde ihn mir auch anschauen. Ich hab ja nicht nur meinen Kindern vorgelesen, sondern auf Reisen haben wir, eine Freundin und ich, uns so manches Buch gegenseitig vorgelesen. Was war das schön! Bis später.

    1. Liebe Anna, ja, das Eintauchen in die Welt der Geschichten und das Auftauchen der Bilder, die entstehen, ist etwas so Wundervolles. Ich bin dankbar, darauf zugreifen zu können. Und ich bin auch ganz glücklich zu dir und damit zur Blog-Nacht gefunden zu haben. Aber damit ist es ja nicht genug: Ich freue mich ebenso auf jedes Treffen der Netzwerkliebe und über die bin ich nun bei Mastodon gelandet und hab mich gestern von FB verabschiedet.

      1. Wow, dann bist du definitiv konsequenter als ich, das will ich ja schon so lange. Irgendwie bin ich da zu melancholisch, immerhin habe ich dort meine Community aufgebaut und meine ersten großen Schritte gemacht. Aber ich fürchte, es hilft alles nix: Ich werde auch gehen, komplett. Mal sehen, wie ich das genau anstelle 🙂

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