Leben in Andalusien

BLOG-NACHT
September - 2023

... Und dann kam der stein ins Rollen

Blog-Nacht

Vorneweg-Worte

Ich bleibe! Das stand nach drei Monaten in Spanien für mich fest.

Der Umzug von der Ferienwohnung in eine auf Dauer war erfolgt. Alles lief komplikationslos. Die Wohnungen hier sind fast immer möbliert: Küche, Betten, Schränke, (zu großer) Fernseher, Waschmaschine, Balkonmöbel, alles da. Der Alltag konnte beginnen.

Erste Kontakte zu Deutschen waren geknüpft, aber der Schritt in die spanische Welt meines Lebensortes war auch nach weiteren sieben Monaten noch nicht wirklich erfolgt. 

Und dann sagte ich nur einen kleinen Satz, der ziemlich viel in Gang setzte. 

Davon erzähle ich euch in meiner sechsten Blognacht mit Anna Koschinski.

Das erste Mal im Fotoclub

Über Facebook war mir eine spanische Hobbyfotografin aus Granada begegnet. Nennen wir sie Loli. Sie war damals oft an der Küste und entdeckte einen Fotoclub im kleinen La Herradura nur wenige km von meinem Wohnort Almuñécar entfernt. Die Treffen fanden jeweils am Samstag um 19 Uhr statt. 

Wir also da hin – mit Verspätung, was nicht an mir lag! In der Hoffnung, dass die Uhrzeit wie immer mal wieder lediglich als Angebot verstanden wurde, kamen wir an. Aber Irrtum! Um einen großen Tisch saßen etwa 8 Männer und eine Frau. Ein weiterer Mann zeichnete etwas auf ein Whiteboard und erklärte. 

Nach einem kurzen und freundlichen “Hola” ging es weiter im Thema. Zum Glück um etwas, was mir ein wenig vertraut war und der Typ konnte sogar Englisch. Meine Kamera hatte ich nicht dabei. Wir wollten ja nur mal schauen.

Mir gefiel diese Gruppe, ich wollte wiederkommen. 

Die Rückfahrt

Beschwingt und fröhlich fuhren wir zurück. Ich hatte etwas, worauf ich mich jede Woche freuen konnte: Fotografie gemeinsam mit anderen. 

Und dann sagte ich zu Loli: Der Typ, der da erklärt hat, ist ja ein interessanter Mann. 

Damit kam der Stein ins Rollen. 

Der zweite Samstag

Ich freute mich auf den Abend, hatte diesmal meine Nikon dabei mit Objektiven und das Handbuch zur Kamera. Ich kaufe immer die Handbücher und lese und markiere und klebe Post Its ohne Ende. Das Buch sollte mir an dem Abend helfen, schnell auf Deutsch nachlesen zu können, worum es geht, wenn ich mal wieder nicht richtig folgen konnte.

Kamera und Objektive wurden begutachtet, die Objektive als die damals besten auf dem Markt eingestuft. Das war mir peinlich. Ich hab nicht gern was Besseres als alle anderen, winkte ab und erklärte, dass ich halt als Fotografin gearbeitet hatte und deshalb …. 

Der Knüller aber war das markierte und beklebte Buch. Sowas hatten sie noch nicht gesehen.

Ir de Tapas

Nach dem Treffen ging es in eine Bar. Hier sind damit keine Cocktailbars mit leiser Klaviermusik im Hintergrund gemeint. 

Der Mann vom Whiteboard, Omar Alberto, saß mir gegenüber. An der Stirnseite zwischen uns Loli. Wir sprachen über Filme. Omar erzählte, er würde derzeit kaum was schauen, weil sein Fernseher zu klein und ne Katastrophe sei. Darauf sagte Loli laut und deutlich in die Runde: Ramona hat einen großen Fernseher!  Stille am Tisch.

Mir stockte der Atem! 

Ich sah Omar kurz an, mit vor Schreck aufgerissenen Augen so groß wie Untertassen. Wo um alles in der Welt war das blöde Loch, in das ich mich hätte verkrümeln können? 

Die einzige weitere Frau in diesem Club roch sofort den Braten. Dazu gleich mehr.

Foto-Trips

Von da an waren wir häufig mit der Kamera unterwegs. Was alles wurde angefahren: Feuerwerke; abenteuerliche Orte nur über Straßen zu erreichen, die den Namen nicht verdienen; Strände, von denen aus die Milchstraße gut zu fotografieren war etc. Ich dachte zunächst, das sei so normaler Fotoclub-Alltag in Spanien, weil immer mehr Leute dazu kamen. Bis ich verstand.

Die Treffen endeten meist in einer Bar an einem der schönen Strände. Nach etwa drei Wochen begannen beide Frauen und vermehrt auch andere irgendwelche Kommentare abzugeben. Von den neugierigen Blicken mal ganz zu schweigen.

Einmal sagte ich, wie schön ich es finde, nachts am Strand entlang zu gehen. Sofort sagte wer zu Omar Alberto: “Hast du das gehört? Sie findet es schön, nachts am Strand entlang zu laufen!” 

Das war mehr als Winken mit nem Zaunpfahl, da wurde ein ganzer Jägerzaun geschwungen..

Omar erzählte später, große Sorge gehabt zu haben, dass die anderen alles verderben würden, weil er ja gemerkt habe, wie unangenehm mir das war.” 

Das erste treffen allein

Irgendwann trafen wir uns allein, um die Mittagszeit – ganz und gar unverbindlich – auf eine Tapa. Eine Tapa nehmen heißt: Du bestellst ein Bier, eine Cola oder was auch immer und im Preis inbegriffen ist eine kleine Speise. In guten Tapas-Bars reichen zwei und du bist satt. 

Da saß ich nun und wusste nicht, was ich sagen konnte, weil mir schlicht und einfach die Worte fehlten. Aber diese Bedenken wenigstens konnte ich äußern. Wie sollte das alles denn funktionieren, wenn die Sprache fehlt? 

Seine Antwort: Um nachts am Strand entlang zu laufen, braucht es keine Worte. Auch wieder wahr.

Er erzählte viel von sich. Später kam eine WhatsApp an, wie schön wir doch bald 1,5 Stunden geredet hätten. Das war allerdings nicht gut beobachtet, weil geredet hat zu 90% er. Ich hab maximal 1/3 verstanden und sonst freundlich lächelnd genickt. 

Später fragte ich ihn manchmal etwas aus seinem früheren Leben, worauf ich einen verwunderten Blick erntete: Das hab ich dir doch alles bei unserem ersten Treffen erzählt. 

Der Chor

Die Tür in die spanische Welt war geöffnet. Es sollte eine weitere aufgehen.

Wir machten eine kleine Fotoreportage von einer Prozession, begleitet von einem Chor. Ich sah die Frauen in ihren Flamencokleidern, hörte sie singen und dachte sofort: Wie toll ist das denn! Ich will auch gern wieder singen und möchte auch so ein Kleid haben. 

Die Chorleiterin war rasch gefunden, ich durfte kommen. 

Nach der ersten Chorprobe allerdings war ich mir nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war. Sevillanas sind sowas von anders als alles, was ich vorher kannte. Der Rhythmus, die Schnelligkeit und das alles in Spanisch. 

Ich gab mir Zeit bis Weihnachten. Wenn ich es bis dahin nicht besser können würde, wäre es das gewesen. Aber ich wurde sicherer und bin bis heute dabei. Die Chorleiterin wurde mir Freundin. 

Blognacht
Ángeles, unsere Chorleiterin

Hintendran-Worte

  • Schon in Deutschland hatte ich die Idee, wenn ich schon in Spanien leben würde, dann wollte ich auch am spanischen Leben teilnehmen. Nie hätte ich gedacht, dass dieser Wunsch so gründlich in Erfüllung gehen könnte.
  • Ich hatte einen Fotoclub gefunden,
  • unerwartet einen lieben Menschen getroffen, der sich von allen anderen unterscheidet, weil er in besonderer Weise an meiner Seite steht
  • und einen Chor. 
  • Nun lerne ich sogar Flamenco.

Wenn ich durch’s Dorf gehe, treffe ich immer wen. Man kennt mich, weil ich im Chor singe; weil ich für eine Fotoausstellung ganz “normale” aber in meinen Augen wichtige Menschen fotografierte: die Bäckersfrau, den Mann von der Post, den Friseur und andere; weil ich hier in den Geschäften einkaufe, soweit es nur geht, weil wir immer mal wieder Veranstaltungen mit der Kamera begleiten, dann Fotos machen lassen und diese verschenken.

Ich fühle mich wohl in dieser kleinen Welt. Berlin war mir immer viel zu groß, hat mich immer überfordert. Zwar hab ich da die meiste Zeit meines Lebens gelebt, aber immer mit dem Wunsch wegzugehen.

Die Frauen vom Chor sagen, ich sei mehr Spanierin als Deutsche. Das weiß ich nun nicht so genau, aber in jedem Fall bin ich eine Frau des Südens. 

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2 Antworten

  1. Hachz… wie wahr: Um nachts am Strand entlang zu laufen, braucht es keine Worte. Ich erlebe auch immer wieder solche Situationen, in denen Worte einfach nicht wichtig sind – und das, obwohl ich doch so ein Schreiberling bin 🙂

    Danke, dass du aber deine Geschichte in Worte gefasst hast, damit andere ihr und den Geschehnissen darin nachspüren können. Zauberhaft!

    Liebe Grüße
    Anna

    1. Hi Anna,
      freu mich über deinen Kommentar. Immer noch ist es für mich schön, nachts am Strand zu sitzen mit nem Picknickkorb dabei nicht viel zu reden, dafür reichlich zu staunen. Freue mich auf morgen. Bis dahin, Ramona

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